Kunst im kirchlichen Raum

"Das Münster", Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft


Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft
1/2002

Verlag: Schnell & Steiner, Regensburg
ISSN:   0027-299-X   



Neue Kunst:
Der Künstler Jacques Gassmann zeigt mittels metallischirisierender Projektion die lebensgefährliche Natur unter transzendentalen Lichtkontrasten.
Seiten 46-50

Der Text:

Jacques Gassmann, Jahrgang 1963, hat Wellen geschlagen: 32 großformatige Bilder (1,50m x 2,50m und 3,00m x 2,50m) gehen um die Welt. Er ist einer der ganz wenigen Künstler, die den gesamten biblischen Text der Johannes-Offenbarung in zeitgenössische Kunst umgesetzt haben. Die „apokalyptischen Reiter", „die Frau und der Drache" oder „die Hure Babylon" zeigen in Sinn und Ästhetik seine Malweise. Er betont mit einem Kontrast aus Abstraktion und Konkretion der Protagonisten und Landschaften, der Nebendarsteller und Stätten. In virtuoser Manier treten die Motive über die Menschen und Tiere auf der Leinwand plastisch hinein in Gassmanns Bildkompositionen. Die bildnerische Flache ist von vollkommener Ebenheit. Nicht das Pastose, sondern der Kontrast von Farbe und Licht in seiner meisterhaften Ausführung projiziert das Dargestellte im Bild geradezu in den Raum. Hochlichtecht sind die Schellackpigmenttuschen und die Blistertuschen aus Glanzruß, die Gassmann auf Acrylgrund verwendet. Diese Malmittel werden mit Wasser vermalt und trocknen dann wasserfest auf. Sie ermöglichen auf Dauer gleichermaßen eine transparente und eine deckende Verarbeitung. Wo die Tuschen unverdünnt verwendet werden, erhalten sie
nach dem Trocknungsprozess einen feinen, metallischirisierenden Glanz. In ihrer substantiellen Wirkung scheinen sie im Grenzbereich zwischen Malerei und experimenteller Fotografie zu liegen.

Doch sind diese Bildmotive ausschließlich die künstlerische Projektion des Jacques Gassmann. Wie von einem inneren Zelluloid konkretisieren sich hier seine Vorstellungen von den Visionen aus diesem apokalyptischen Kapitel. Die Gegenwart seiner Präsenz potenziert die Realität dieses gewaltigen Bilderzyklus', als würde eine planetare Biologie unabänderlich die Geschicke der Menschheit bestimmen - bis in das kleinste Glied ihrer Erscheinungsform und ihrer Symbolik. Jacques Gassmann entwickelt sein Motiv aus der Zeichnung heraus. Aus ersten Tönen mit puren Pigmentgebinden und klaren Wassermengen entstehen so Farbessenzen, die das Wesen des Dargestellten bedeuten. Das Hintergründige taucht von diesen Formaten in den feinsten Nuancierungen einer Tiefenwirkung auf. Gassmann setzt die Tradition der Maler fort, die die Mythologien aufgreifen, um den Menschen in seinem Verhältnis zum Göttlichen zu zeigen. Die Errungenschaften der Wissenschaften sind der Fundus für diese Beziehung .

Er knüpft in dieser Form der Auseinandersetzung an das Künstlertum der Renaissance an, wo Maler und Bildhauer mit Medizinern zusammenarbeiteten. Es galt immerfort, die Proportionen des Menschen neu festzulegen. Heute, im Zeitalter der Gentechnik, sind die Oberflächen der Gegenwart unter einem anderen Licht, nämlich dem des Mikroskops zu sehen.
Hier greift Jacques Gassmann als Künstler ein. Für ihn ist es wesentlich, die Gesamtheit des Wesens in dem Licht seines „Makroskops" im Auge zu behalten. Über die Werkgruppe „Apokalypse", zu der ein Zyklus von graphischen Arbeiten auf Papier gehört, sind auch die Kunstabteilungen der Kirchen auf ihn aufmerksam geworden.

Prospectus und Innenraum
In Bayern und Baden-Württemberg schuf Gassmann daraufhin 1995 für die Katholische Kirche ein Altarbild von Johannes dem Täufer in der St. Johannes Kirche in Kitzingen. Mit Motiven von Engeln malte er 1996 die St. Hedwig Kapelle in Veitshöchheim aus. Die Diözese Würzburg, hier federführend der Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen, übertrug dem Künstler 1996 die Orgelgestaltung in Kitzingen als Pendant zum Altarbild, um eine ästhetische Achse in dem Kirchenschiff zu schaffen. Bei der gestalterischen Planung des Orgelprospekts war die enge Zusammenarbeit Gassmann sowohl mit den Orgelbauern wie mit den Autraggebern ein zentrales Element. Dieses Konzept hatte sich so bewährt, dass er  in den vergangenen Jahren mit weiteren Prospektgestaltungen an verschiedenen Orten beauftragt wurde.

Die strukturierten Farbflächen, die der Künstler um das Gehäuse legt, sind Fragmenten seiner Bilder nacnempfunden. Sie stellen nicht konkret dar, sondern bilden offene, assoziationsreiche Formationen von Hell und Dunkel, Transparenz und Vollton, die in religiösem Sinne gelesen werden können. Gassmann überlässt sein Farbspiel nicht nur der eigenen Inspiration. Er verbindet die monumentale Form der Orgel und den Charakter des dreischiffigen Kirchenraums in seiner Prospektgestaltung, einer Klammer zwischen den Sinnen ähnelnd. Er schafft die Symbiose zwischen Form, Farbe und Raum in ihrer sinnlichen Wahrnehmung neu.
In Norddeutschland erwarb die Evangelische Kirche zwei Exponate aus seinem Bilderzyklus „Passion". In Hannover hängt seit 1997 in der Neustädter Kirche eines seiner grünen Christusbilder, die auf die Kreuzdarstellung verzichten.
Für die LambertiKirche in Oldenburg sorgte die Pastorin selbst, dass ihr Ausstellungsstück an Ort und Stelle verbleiben sollte.

Zuletzt gelang Gassmann ein Husarenstück mit dem riesigen Wandgemälde „Tod und Auferstehung" (12,5m x 8,5m) in der St. Oswald Kirche in Baunach bei Bamberg. Inspiriert von der Thematik des österlichen Mysteriums, entwarf er einen Bildraum, der sich in seiner Farbigkeit auf die Facetten zwischen schwarz und weiß konzentriert. Die Spuren des Oranges übertragen eine warme Tönung dieser Farben. Das aufsteigende Licht, das konsrastierte Schwarz übersetzt die Figur des Christus in ein Bild von unübersehbarer Präsenz hinter dem Altar.

Über Noten zu Tinten und Tuschen
Jacques Gassnann wurde 1963 in Heidelberg geboren und wuchs in Straßburg auf. Dort besuchte er das Konservatorium für Musik. Über das Schwarzweiß der Notenblätter kommt er in seiner Jugend von der Musik über die Karikatur zur Zeichnung.
Während anfangs das Figurative, später das Expressionistische im Dargestellten überwiegt, mündet seine Arbeit in der konzentrierten Auseinandersetzung mit der rein zeichnerischen Methodik.

Es ist die magische Anziehung des Schwarz, das Klärende im Kontrast schwarz-weiß in seinem graphischen Werk, das ihn zur exklusiven Arbeit mit Tinten und Tuschen bewegt. Die Erschaffung einer eigenen Farbigkeit im Schwarz, die ausgeklügelte
Technik, die tiefe Wirkung, das Transzendentale bei der Betrachtung: Gassmann gereichte seine Meisterschaft zum Patent: Ogrody. 

Ogrody heißt Garten auf Polnisch im Singular wie im Plural. Gassmann hat diesen Mythos für sich als technisches Mittel requiriert und zum Sonderprogramm gestaltet.
Was heißt Ogrody? Was heißt Acryl? Was heißt Öl? Wenn man den Namen der Technik kennt, weiß man im Grunde gar nichts.
Für Gassmann ist Ogrody nicht nur Technik, sondern vor allem eine Atmosphäre, eine Haltung, gleich einer Philosophie. Ogrody ist ein Schutz des Motivs. Malerei funktioniert gewöhnlich so:
Schicht für Schicht baut sich das Bild auf. Gassmann arbeitet anders herum. Mit Wasser trägt er das Material ab und dringt so weiter in die Tiefe des Malgrunds. Alle Farben, die er benutzt, kommen aus dem Schwarz. Für kurze Zeit wirkt das gesamte Bild nahezu alchimistisch schwarz. Bis sich alle Flüssigkeiten wieder in farbige Schichten trennen.

Wie weit der Begriff „Garten de profundis" zu spannen ist, mag man im Sakralen und im Profanen gleichermaßen begreifen. Ende der 1980er Jahre entstanden aus dieser elementaren Maltechnik Bilder, die mit den Wechselbeziehungen der Elemente Erde,
Wasser, Feuer und Luft arbeiten, aus denen irdische und existentielle Grundlagen des Menschlichen bestehen.

In dem Bilderzyklus „Natural Hazards" sind es die Naturkatastrophen, die menschlichen Gratwanderungen, die gefahrvollen bis lebensgefährlichen Geschehnisse der Natur, die Jacques Gassmann im Moment hrer Erscheinung in großformatiger Leinwandmalerei bis ins feinste Pigment seiner Tinten transponiert. Nicht umsonst will Gassmann das letzte Kapitel der Bibel, die „Apokalypse", diese letzte Konsequenz des Menschen für den Betrachter offenbaren.

Danach entstehen in Bilderserien 170 Exponate unter dem Motiv „Supersonic". Er spürt den Flugerlebnissen der Piloten nach. Es ist die Sehnsucht abzuheben, über den Dingen zu werten. Gassmann greift folgerichtig das Renaissancale wieder auf, materialisiert das Spirituelle des Freiflugs und sensualisiert im Flieger das Engelsgleiche. Das Moment der Geschwindigkeit verwirklicht sich in den Bildsequenzen des Künstlers, wo sich die Form in Bewegung und Farbe in Energie verwandelt.

In dem Bilderzyklus „Coasts" sieht Gassmann die Welt aus der Sicht eines Trabanten. Küstenverläufe ohne Spuren von Besiedlung. Der Blick in der Vision eines Neuen Jerusalem ist hier elementar im Farbkontrast des Verlaufs der Erde und des Wassers. Was Gassmann in der Apokalypse mit kristallinem Weiß gelöst hat, um jede Vorstellung zu ermöglichen, konkretisiert er in den „Coasts"-Bildern in Küstengebieten. Er malt sie gegen die Regeln der Kartographie von Nord-Süd und Ost-West. Diese Landschaften sind Kunst-Räume und damit frei zur individuellen Besiedlung.

In „Körperbilder" und „Bordercross", Bildern von jüngster Provinienz, ist der Mensch wieder Fokus und zugleich Gassmanns Perspektive auf die Welt. Fragmente vom menschlichen Akt auf Leinwandkästen einerseits und Bilderserien vom Menschen in der alpinen Winterwelt, in der weißen Wüste der rasenden Abfahrt, all das motiviert
Gassrrann mit seinem künstlerischen Vorgehen, die Welt in den Dingen zu begreifen, von denen sie geprägt wird. Die Auseinandersetzung mit der Welt, mit dem Sakralen, ist für den Theologensohn Realität und persönliche Prägung, die seinen essentiellen Umgang mit den Sujets begründet.

Und so ist es nicht zuletzt Konsequent, dass Gassmann unter www.ogrody.org eine Homepage eingerichtet hat, wo er sich der Welt offenbart.


Literaturhinweis:
Jürgen Lenssen, Bewahren und Erneuern, Regensburg 2001,


 

 
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